Ein neuer Name: Statt Hartz IV nun Bürgergeld
Inhaltsverzeichnis
Zunächst einmal soll das alte Image aufpoliert werden. Eine Namensänderung soll vermitteln, “hier hat sich etwas grundlegendes verändert. Die im SGB II geregelte Grundsicherung für Arbeitsuchende heißt somit ab 1. Januar 2023 “Bürgergeld”.
Muss ein neuer Antrag beim Jobcenter gestellt werden?
Leistungsbeziehende müssen keinen neuen Antrag stellen. Bisher nach dem SGB II erlassenen Leistungsbescheide und Verwaltungsakte bleiben gültig, ebenso die zwischen Jobcentern und Leistungsbeziehenden geschlossenen Verträge.
Welche Änderungen wurden mit dem Kompromiss beschlossen?
Sanktionen bleiben auch beim Bürgergeld bestehen
- Die Dauer der Sanktion einer Meldepflichtverletzung wurde auf einen Monat verkürzt.
- Die Dauer und Höhe der Sanktionen wegen Pflichtverletzungen nach § 31 SGB II wurden gestaffelt. Die Sanktion bei einer ersten Pflichtverletzung beträgt 10% des Regelbedarfs und dauert einen Monat, bei einer weiteren (zweiten) Pflichtverletzung beträgt die Sanktion 20% und dauert 2 Monate, bei jeder weiteren (ab der dritten) Pflichtverletzung beträgt die Sanktion 30% und dauert 3 Monate. Um eine weitere Pflichtverletzung handelt es sich nur dann, wenn der Beginn des letzten Minderungszeitraums nicht länger als ein Jahr zurückliegt.
- Im Weiteren wurde die aufgrund des Bundesverfassungsgerichts (1 BvL 7/16) schon seit 12/2019 geänderte Sanktionspraxis in die längst fällige Gesetzesform überführt, d.h. die Sanktionshöhe ist auf 30% beschränkt, gekürzt werden darf nur die Regelleistung, nicht die Leistung für die Miete, und es darf keine Ungleichbehandlung nach Alter geben.
Kooperationsplan: Statt Eingliederungsvereinbarung nun Plan zur Verbesserung der Teilhabe
- Die Eingliederungsvereinbarung heißt nun “Plan zur Verbesserung der Teilhabe“, kurz “Kooperationsplan”, und die Geltungsdauer ,”Kooperationszeit”. Kommt der Leistungsbezieher nach Auffassung des Jobcenters seiner Mitwirkungspflicht aus den darin getroffenen “Absprachen” nicht (ausreichend) nach, wird er durch Verwaltungsakt mit Rechtsfolgenbelehrung dazu aufgefordert. Jede danach erfolgende Pflichtverletzung wird dann sanktioniert.
- Leistungsbezieher oder Jobcenter können ein Schlichtungsverfahren beantragen, wenn über den Inhalt des Kooperationsplanes keine Einigkeit besteht. Eine Pflicht zur Schlichtung besteht nicht, sollte keine Einigung erzielt werden, wird der Kooperationsplan nach 4 Wochen unverändert als Verwaltungsakt erlassen.
- Übergangsregelung: Bestehende Eingliederungsvereinbarungen gelten solange nach den gesetzlichen Regelungen für einen Kooperationsplan weiter, bis ein Kooperationsplan erstellt wurde.
“Fordern” steht weiterhin an erster Stelle
Das Prinzip “Fordern” steht weiterhin an erster Stelle und mit Teilhabe hat das Ganze nach wie vor nicht das Geringste zu tun.
Leistungsbeziehende haben beim Kooperationsplan keine Möglichkeit, die für das Jobcenter darin vereinbarten Pflichten einzufordern, da es sich hierbei nicht um einen Vertrag i.S.d. §§ 53 ff SGB X handelt, sondern eine reine Absichtserklärung. Fakt ist, dass hierbei die sog. Waffengleichheit nicht gewahrt ist.
Ob aus nicht rechtsverbindlichen Absprachen das Recht des Jobcenters zum Erlass von Verwaltungsakten abgeleitet werden kann, darf erheblich bezweifelt werden und muss von der Rechtsprechung geklärt werden.
Eingliederungs- und Weiterbildungsmaßnahmen
Leistungsbezieher werden mit einem “Bürgergeldbonus” in Höhe von monatlich 75 Euro für die Teilnahme an solchen Maßnahmen geködert belohnt.
Wird gegen eine Pflicht aus dem Kooperationsplan verstoßen, entfällt der Anspruch auf den Bonus dauerhaft.
Ganzheitliche Betreuung der Jobcenter
Neu ist die ganzheitliche Betreuung (,,Coaching und aufsuchende Sozialarbeit”). Das Jobcenter kann diese anordnen, oder in einem Kooperationsplan festlegen. Leistungsbeziehende werden dann faktisch rund um die Uhr in allen Lebensbereichen überwacht und angeleitet.
Das Jobcenter erfährt so buchstäblich alles über Leistungsempfänger und darf diesen de facto vorschreiben, wie sie zu leben haben.
Damit diese umfassende Einmischung Dritter in höchstpersönliche Lebensbereiche nicht per se verfassungswidrig ist, darf die Verweigerung der Mitwirkung bei einer solchen Maßnahme nicht sanktioniert werden.
Verwertbares Vermögen beim Bürgergeld
- In den ersten 12 Monaten gilt eine “Karenzzeit”, dabei wird Vermögen nur berücksichtigt, wenn und soweit es erheblich ist. Es gilt eine Freibetragsgrenze von 40.000 Euro für die erste und jeweils 15.000 Euro für jede weitere Person in der Bedarfsgemeinschaft. Diese Karenzzeit gilt ab 01.01.2023 auch für Bestandsfälle.
- Nach der Karenzzeit gilt ein Vermögensfreibetrag von 15.000 Euro pro Person, wobei nicht genutzte Freibeträge auf andere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu übertragen sind.
- Für ein selbst genutztes Hausgrundstück gilt eine Wohnfläche von max. 140 qm als angemessen. Für eine Eigentumswohnung gilt eine Wohnfläche von max. 130 qm als angemessen. Ab der 5. Person erhöhen sich diese Grenzen um jeweils 20 qm je weiterer Person.
Wann wird das Einkommen in welcher Höhe angerechnet?
Azubis unter 25 erhalten einen erhöhten Grundfreibetrag auf ihre Ausbildungsvergütung i.H.v. 520 Euro, das entspricht in etwa dem BAföG-Bedarf.
Neue Freibeträge beim Bürgergeld
Ab 1. Juli 2023 gelten folgende neue Freibeträge beim Bürgergeld für das Brutto-Erwerbseinkommen:
- Stufe 1: 100€ bis 520€ = 20%
- Stufe 2: 520,01€ bis 1000€ = 30%
- Stufe 3: 1000,01€ bis 1.200€ = 10%
Alles was über 1.200€ hinaus geht, wird voll berücksichtigt.
Für Erwerbstätige ohne minderjährige Kinder ergibt sich dabei ein um maximal 48€ höherer Freibetrag. Für Erwerbstätige mit minderjährigen Kindern erhöht sich der maximal mögliche Freibetrag lediglich um 18€, da die bisher dort greifende Erweiterung des Freibetrages der Stufe 3 auf 1.500€ Brutto-Einkommen entfällt.
Mit dem in Stufe 2 erhöhten Freibetrag werden gezielt Midijobs begünstigt.
Bedarfe für Unterkunft und Heizung beim Bürgergeld
- In den ersten 12 Monaten gilt eine “Karenzzeit”, in welcher die tatsächlichen Kosten für die Unterkunft (Bruttokaltmiete) als angemessen anerkannt werden. Es werden jedoch weiterhin nur die angemessenen Heizkosten anerkannt. Die Karenzzeit gilt ab 1. Januar 2023 auch für solche Bestandsfälle, bei denen bis dahin die tatsächliche Bruttokaltmiete als angemessen anerkannt wurden.
- Nach dem Tod eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft ist eine Senkung der Unterkunftskosten für die Dauer von 12 Monaten nicht zumutbar.
Die neuen Bürgergeld-Regelsätze ab 1. Januar 2023
Ab 1. Januar 2023 gelten (auch im SGB XII) folgende Bürgergeld- Regelsätze:
- Alleinstehend: 502 Euro
- Partner in einer Bedarfsgemeinschaft: 451 Euro
- 19-25 Jahre: 402 Euro
- 15-18 Jahre: 420 Euro
- 7-14 Jahre: 348 Euro
- 0-6 Jahre: 318 Euro
Diese Erhöhung der Regelleistungen spiegelt lediglich die bereinigte Inflation aus 2022 i.H.v. 10% wider, nicht jedoch die in 2023 zu erwartende, dazu wäre gemäß § 28a SGB XII n.F. eine weitere Erhöhung von 10% erforderlich.
Die willkürliche Festsetzung der Regelsätze in § 134 SGB XII n.F. führt im Ergebnis zu einer offensichtlich gewollten Regelsatzkürzung um ca. 10%. Der Parititätische Gesamtverband hatte in einer Auswertung einen armutsfesten Regelsatz ohne statistische Tricks von 725 Euro erreichnet. Dazu mehr hier.
Was ändert sich noch?
- In § 14 “Grundsatz des Förderns” wird klargestellt, dass auch nicht arbeitslose erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu fördern sind. Ein Vollzeitjob schützt somit nicht mehr davor, sich einen besser bezahlten suchen zu müssen.
- Für Erstattungsforderungen vom Jobcenter gilt eine Bagatellgrenze von 50 Euro.
- Darlehen dürfen nicht aufgerechnet werden, wenn und solange bereits mehr als 20% der Regelleistung von einer Aufrechnung betroffen ist.
- Die Frist für den Beginn einer neuen Karenzzeit beträgt 3 Jahre ohne Leistungsbezug.
- Die Pflicht, ab dem 63. Lebensjahr Altersrente beantragen zu müssen, wird bis Ende 2026 ausgesetzt.
Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?
Bündnis 90/Die Grünen: “Wir werden die Grundsicherung grundlegend reformieren und damit Hartz IV durch das Bürgergeld ersetzen. Das Bürgergeld wird einfacher und auf Augenhöhe gewährt und ermöglicht selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.”
Davon ist nichts zu sehen. Ersetzt wird der Name, das Meiste bleibt im SGB II jedoch inhaltlich sowie in der Rechtswirkung unverändert und bei der Regelsatzerhöhung wird schon wieder zum Nachteil der Bedürftigen getrickst.
Sollte sich die SPD durch den Namenswechsel kollektiven Gedächtnisschwund erhofft haben, so wird sie enttäuscht, denn es gibt längst einen passenden Namen dafür: “Bürger-Hartz”.
Die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geforderten Änderungen bei der Sanktionspraxis ins Gesetz geschrieben und die Regelleistung an die aktuelle Inflation angepasst – das wäre auch so geschehen.
Die Pandemie-Sonderregelungen (Vereinfachter Zugang,…,) wurden in leicht geänderter Form beibehalten, um die Wähler aus der bürgerlichen Mitte nicht zu verprellen.
Mit den neuen Regelungen zur Förderung nicht arbeitsloser Erwerbsfähiger und dem Bürgergeldbonus wird der Druck zum willfährigen Verhalten von Leistungsbeziehern weiter erhöht.
Mit der ganzheitlichen Betreuung mischt sich das Jobcenter nun trotz ,,Paternalismus-Verbot” des BVerfG in alle Bereiche des Lebens von Leistungsbeziehenden und Jobcenter müssen ihre Pflichten aus dem Kooperationsplan nun nicht mehr erfüllen.
Die Karenzzeiten sowie die neuen Regelungen zum Vermögen kommen lediglich der, infolge des seit 2020 anhaltenden ,,Katastrophenzustandes”, wirtschaftlich geschwächten Mittelschicht (weiterhin) zugute. Bestandsfälle haben davon nichts, die mussten ihr Vermögen bereits lange vorher veräußern und aufbrauchen.
Und von den Freibetragsänderungen bei der Einkommensanrechnung profitieren gezielt nur Midijobber – seltsam, wollte man hier doch vorgeblich Anreize für Vollzeittätigkeiten schaffen.
Statt Azubis gleich ins soziale Jammertal zu stürzen, wartet man damit nun bis zum Ende der Ausbildung.
Unter dem Strich könnte man konstatieren, dass sich Verbesserungen und Verschlechterungen ungefähr die Waage halten – wäre da nicht die deutliche Schieflage bei Pflichten und Rechten des Kooperationsplans zum Nachteil von Leistungsbeziehenden, wo sich die Regierung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zu Eingliederungsvereinbarungen entziehen will.
Noch gravierender ist jedoch, dass die Regierung die Regelsätze für 2023 so willkürlich festlegt, dass dies einer 10%igen Kürzung gleichkommt.
Kritik auch vom Wohlfahrtsverband
Insgesamt bezeichnet auch der Paritätische Gesamtverband den Kompromiss zwischen Ampel und Union als “absolut enttäuschend”. Insbesondere der CDU wirft der Wohlfahrtsverband “eine beispiellose Desinformations- und Entsolidarisierungskampagne auf dem Rücken der Ärmsten” vor.
„Solange in der Grundsicherung weiterhin sanktioniert wird und solange die Menschen weiter in Armut gehalten werden, kann nicht ernsthaft von einer echten Reform, sondern bestenfalls von einer Novelle gesprochen werden”, kritisiert der Verbandschef Ulrich Schneider. (fm, sb)