„Unsere Kirchen bleiben Zufluchtsorte“

EKD veröffentlicht biblisch-theologische Grundlegung zum Kirchenasyl

Mit einer biblisch-theologischen Grundlegung zum Kirchenasyl erinnert die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) an die geistlichen Wurzeln und die humanitäre Bedeutung des Kirchenasyls – in einer Zeit, in der dieser Schutzraum zunehmend unter politischen Druck gerät. Hatte es jahrelang Übereinkunft zwischen Behörden und Kirchengemeinden gegeben, kirchliche Räume, in denen Menschen Schutz finden, zu respektieren, ist es in jüngerer Zeit mehrfach zur Beendigung des Kirchenasyls durch Behörden und Polizei gekommen.

Bischof Christian Stäblein, Flüchtlingsbeauftragter des Rates der EKD, betont: „Kirchengemeinden gewähren Kirchenasyl nicht leichtfertig, sondern nach gewissenhafter Überlegung und als letztes Mittel. Denn wie könnten wir tatenlos zusehen, wenn einem schutzsuchenden Menschen Gefahr droht?“ Das Kirchenasyl sei gelebter Ausdruck des christlichen Glaubens, so Stäblein, und diene zugleich dem Rechtsstaat, weil das Kirchenasyl auf Verfahrensfehler und Gerechtigkeitslücken aufmerksam mache. Im besten Fall bekämen Schutzsuchende durch das Kirchenasyl eine echte Chance auf erneute Fallprüfung und Anerkennung ihrer Notlage. Im schlimmsten Fall geschähe das, was einige Gemeinden kürzlich erlebten: Die gewaltsame Räumung des Kirchenasyls mit Traumafolgen für die Schutzsuchenden und hohen emotionalen Belastungen für die engagierten Ehrenamtlichen. Gerade in dieser Situation sei die Betonung der christlichen Grundlagen des Kirchenasyls von großer Bedeutung, erläutert Stäblein.

Die neue 24-seitige EKD-Broschüre erläutert in kurzen Thesen und anhand von Bibeltexten verschiedene Aspekte des Kirchenasyls. Dazu gehören die Erfahrungen des Fremdseins, der Verfolgung und des Angewiesenseins ebenso, wie die Gastfreundschaft und die Verteidigung von Rechten Geflüchteter. Die Broschüre macht deutlich, wie tief die biblische Tradition von migrantischen Erfahrungen, von Flucht und Aufnahme geprägt ist und wie aktuell die biblischen Texte angesichts heutiger Entwicklungen sind. Weiterführende Informationen und praktische Hinweise zum Kirchenasyl, einschließlich Adressen zu Beratungsangeboten, runden die Broschüre ab.

„Es muss einen Ort geben, an dem Menschen Zuflucht finden, wenn sie nirgends mehr hinkönnen. Und es muss Menschen geben, die dann ihre Tür öffnen, um Schutzsuchenden zur Seite zu stehen“, so Bischof Stäblein. Diejenigen, die in ihrer Gemeinde ein Kirchenasyl gewähren, verstünden dies als ihre christliche Pflicht, ohne sich anzumaßen, rechtsfreien Raum zu schaffen.

Den Kirchen ist vielmehr wichtig, im guten Kontakt mit den lokalen Behörden und ebenso mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu stehen: „Wir mögen aus verschiedener Perspektive und Verantwortung auf die jeweilige Situation von Schutzsuchenden schauen, aber wir tun das im Bewusstsein, dass wir mit Menschen umgehen, die unsere Unterstützung brauchen“, erläutert Stäblein.

Kirchenasyl: So helfen Gemeinden – trotz allem

Das Kirchenasyl gerät in der Politik zunehmend in die Kritik. Die Gemeinden nähmen nicht mehr nur Härtefälle auf, lautet ein Vorwurf. Die Helfenden sehen das anders. -----                                                                                   Martina Schwager (epd) 9.4.2025

 

Das Gelände der evangelischen Stephansstift-Gemeinde in Hannover ist weitläufig, viele Gebäude gruppieren sich um die Kirche. „Wir haben als diakonische Gemeinde genügend Möglichkeiten, Geflüchtete, die eine Abschiebung fürchten, hier gut unterzubringen“, sagt Pastor Sven Quittkat. Insgesamt zehn Personen gewährt die Gemeinde derzeit Kirchenasyl. „Trotzdem habe ich jede Woche rund 30 weitere Anfragen, die ich nicht erfüllen kann, und eine lange Warteliste.“

Die Angst der Menschen, die von Abschiebungen bedroht seien, nehme zu, seit sich die Stimmung im Land immer mehr gegen Geflüchtete richte, erzählt Pastor Quittkat. „Selbst wenn sie hier bei uns sind, schlafen sie nicht gut. Sie haben Angst, dass nachts zwischen 3 und 6 Uhr morgens die Polizei vor der Tür steht, um sie in Abschiebehaft zu nehmen.“

Kirchenasyl: Helfende wollen Sicherheit vermitteln

Gerade in den ersten Tagen und Wochen gehe es darum, ihnen Sicherheit zu vermitteln, sagt Helene Eißen-Daub, die sich ehrenamtlich um die Menschen im Kirchenasyl der Stephansstift-Gemeinde kümmert. „Ich gehe dann jeden Tag hin, nur um ihnen immer wieder zu sagen: You are safe.“ Darüber hinaus ist die pensionierte Pastorin Gesprächspartnerin, Seelsorgerin und Hauswirtschafterin, wenn es etwa gilt, die Wohnungen für einen Neueinzug herzurichten.

Die meisten Geflüchteten verfügten aber auch selbst über ein Netzwerk von Unterstützern, die sie besuchten, übersetzten oder für sie einkauften, erklärt Pastor Quittkat. Denn die Schutzsuchenden dürfen das Gelände der Kirchengemeinde nicht verlassen und erhalten auch keine Asylbewerberleistungen.

„All diese Dienste wären mit unserer Handvoll Ehrenamtlicher gar nicht zu leisten“, sagt Pastorin Kristina Wollnik-Hagen, zuständig für die Frauen im Kirchenasyl der Gemeinde. „Vor zehn Jahren hatten wir noch 30 Ehrenamtliche. Die mussten wir manchmal sogar bremsen, damit die Geflüchteten auch mal für sich sein konnten.“

Kirchenasyl nur für Härtefälle

Die Zahl der Kirchenasyle hat in den Jahren nach der Corona-Pandemie deutlich zugenommen. Knapp 2.400 Fälle bundesweit zählte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im vergangenen Jahr. Zwei Jahre zuvor waren es halb so viele, 2017 und 2018 jeweils etwa 1.500. In der Regel werden die Geflüchteten mit dem Kirchenasyl vor der Abschiebung in das EU-Ersteinreiseland bewahrt. Nach sechs Monaten läuft die Rücküberstellungsfrist ab, und Deutschland übernimmt das Asylverfahren. Dann verlassen die Menschen das Kirchenasyl.

Laut einer Vereinbarung zwischen Staat und Kirchen soll Kirchenasyl nur in besonderen Härtefällen gewährt werden. Diese werden in Form von Dossiers dem BAMF zur Prüfung vorgelegt. Welcher Fall ein Härtefall ist, darüber sind sich Politik und Behörden einerseits und die Kirche andererseits allerdings zunehmend uneinig.

Das Kirchenasyl ist seit Monaten unter Druck. Laut Dietlind Jochims, Vorstandsvorsitzende der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, gab es 2024 bundesweit etwa zehn kritische Situationen, in denen Behörden ein Kirchenasyl vorzeitig beendet oder eine Räumung versucht haben. Diese Aktionen wurden meist von öffentlichen Protesten begleitet.

Solche Aktionen führten dazu, dass Gemeinden sich zurückziehen, sagt Pastorin Uta Giesel von der Matthäusgemeinde in Hildesheim, die schon seit vielen Jahren Kirchenasyl gewährt. Die ohnehin schon weniger werdenden Ehrenamtlichen würden verunsichert.

Welche Länder Geflüchtete schlecht behandeln

Einige Gemeinden öffnen sich für lokale Vereine und Initiativen und können dadurch auf einen größeren Pool an Helfenden zurückgreifen. So auch die Bremer Neustadt-Gemeinde: Dort bieten etwa der Flüchtlingsrat und die „Omas gegen rechts“ Cafés, Sprachkurse oder eine Fahrradwerkstatt an, erzählt Pastor Thomas Lieberum.

Für die Haupt- und Ehrenamtlichen vor Ort sind Zweifel und Kritik am Kirchenasyl oft schwer nachvollziehbar. Sie sind immer wieder mit den Berichten der Schutzsuchenden über die schlechte Behandlung in einigen Ländern wie Kroatien, Bulgarien, Rumänien, aber auch Litauen oder Polen konfrontiert.

Die Menschen lebten auf der Straße, hungerten, würden mit Gewalt in Nicht-EU-Staaten zurückgedrängt und Frauen seien sexueller Gewalt ausgesetzt, zählt Quittkat auf. „Das ist doch nicht humanitär und hat mit der UN-Menschenrechtscharta oder der Genfer Flüchtlingskonvention nichts zu tun“, empört sich der Pastor.

Früher im Kirchenasyl, heute fest im Job

Auch Asad (Name geändert) war einst im Kirchenasyl. Der 22-jährige Kurde war als politisch Verfolgter aus der Türkei geflohen. Vier Monate habe er im Kirchenasyl verbracht. Albträume hätten ihn gequält, tagsüber sei es oft langweilig gewesen. „Aber ich habe viele nette Menschen und meinen besten Freund in der Kirche kennengelernt“, erzählt er. „Er hat mich fast jeden Tag besucht, wir haben gegrillt oder Schach gespielt. Ich bin ihm sehr dankbar.“

Heute hat Asad einen festen Job bei einer Metallbaufirma. Die Unsicherheit über seine Zukunft ist jedoch geblieben. „Vor zwei Monaten hatte ich mein Interview für den Asylantrag. Ich hoffe, dass ich in Deutschland bleiben darf.“ © evangelische Zeitung

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FLUCHT VOR KRIEG GEGEN UKRAINE

Niedersachsen schiebt russische Familie aus Kirchenasyl ab

Jahrzehntelang haben die staatlichen Behörden das Kirchenasyl geachtet. Seit einigen Monaten häufen sich jedoch Meldungen über Festnahmen und Abschiebungen aus dem Kirchenasyl. Jetzt traf es eine russische Familie in Bienenbüttel bei Uelzen.

14.05.2024   © epd 

Die Polizei und die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen haben am Sonntagabend (12. Mai) in Bienenbüttel bei Uelzen ein Kirchenasyl aufgelöst und eine vierköpfige russische Familie nach Spanien abgeschoben. "Wir sind geschockt vom Vorgehen der Landesaufnahmebehörde", sagte Pastor Tobias Heyden von der evangelischen St. Michaelisgemeinde am Dienstag. Die Festnahme der Familie an einem Sonntag und die Missachtung des Kirchenasyls "erschüttern und erschrecken uns zutiefst."

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen warf der rot-grünen Landesregierung vor, sie habe damit ein jahrzehntelanges Tabu gebrochen. Die Polizeibeamten hätten sich per Durchsuchungsbeschluss Zutritt zur Gemeindehauswohnung verschafft, in der die Familie untergebracht gewesen sei, berichtete der Pastor.

Die beiden Männer hätten den Kriegsdienst für Russland verweigert. Alle vier sei noch in der Nacht nach Barcelona geflogen worden. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten habe das Land Niedersachsen damit ein Kirchenasyl durch den Einsatz der Polizei beendet und die Schutzsuchenden abgeschoben.

Nach Angaben des Flüchtlingsrates hatte es zuletzt 1998 einen Fall von Räumung eines Kirchenasyls mit anschließender Abschiebung gegeben. Danach hätten alle Innenminister betont, dass auf Zwangsmaßnahmen gegen Personen im Kirchenasyl verzichtet werde. Im April dieses Jahres sei dennoch ein Kirchenasyl von den Behörden aufgelöst worden. Die Abschiebung sei aber gescheitert. Politiker und die Ministerin Daniela Behrens (SPD) hätten versichert, es habe sich um ein Versehen gehandelt, erläuterte Geschäftsführer Kai Weber dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nach der jetzigen Aktion gehe er aber davon aus, dass nun bewusst eine neue, restriktive Richtung eingeschlagen werde.

Soll Härte symbolisiert werden?

Auch in anderen Bundesländern habe es in den zurückliegenden Monaten zum Teil spektakuläre Kirchenasylräumungen gegeben, sagte Weber. Es solle offenbar vor allem Härte signalisiert werden. Das spiegele den Rechtsruck in der innenpolitischen Diskussion wider. "Statt den Rechtsextremen Paroli zu bieten, läuft die Politik ihren Parolen hinterher."

In Bienenbüttel hielt sich das russische Ehepaar mit einem erwachsenen Sohn und einer 16-jährigen Tochter den Angaben zufolge auf der Durchreise nach Spanien in Deutschland bei Verwandten auf, als Vater und Sohn einen Einberufungsbefehl erhielten. Die Familie habe sich nicht an dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beteiligen wollen und deshalb in Deutschland Asyl beantragt. Die Mutter sei aufgrund der psychischen Belastung schwer erkrankt und stationär behandelt worden. Dennoch sei der Asylantrag mit Verweis auf das Dublin-Abkommen abgelehnt worden. Die Familie habe bereits ein spanisches Visum gehabt.

Daraufhin habe sich die Familie an den evangelischen Kirchenkreis gewandt, erläuterte Pastor Heyden. Dieser habe nach sorgfältiger Prüfung das Kirchenasyl für sinnvoll erachtet. Die Ärzte der Mutter hätten von einer Abschiebung dringend abgeraten. Die Prognose zur Integration der Familie sei gut gewesen. Vater und Sohn hätten Arbeitsangebote vorweisen können. Die Tochter habe das Lessing-Gymnasium Uelzens besucht. Das Kirchenasyl in Bienenbüttel sei auch mit der Konföderation Evangelischer Kirchen in Niedersachsen abgesprochen gewesen.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche hat derzeit Kenntnis von 594 aktiven Kirchenasylen mit mindestens 780 Personen, darunter etwa 130 Kinder.

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UNZUMUTBARE ABSCHIEBUNGEN

Zahl der Kirchenasyle deutlich gestiegen

Mit der Zahl der Asylanträge steigt auch die Zahl der Kirchenasyle in Deutschland wieder. 2023 gab es laut Bundesinnenministerium mehr als 1.500 Fälle - deutlich mehr als in den Vorjahren. Nur wenige Fälle führen aber zum Umdenken bei den Behörden.

Mittwoch, 27.03.2024

Die Zahl der Kirchenasyle ist 2023 weiter gestiegen. Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurden im vergangenen Jahr 1.514 Fälle gemeldet, wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Clara Bünger hervorgeht, die dem „Evangelischen Pressedienst“ vorliegt. Im Jahr davor lag die Zahl der gemeldeten Kirchenasyle bei 1.243, 2021 gab es 822 Fälle.

Wie aus den Zahlen weiter hervorgeht, führen die Fälle nur selten zu Erfolg auf offiziellem Weg. Nur in neun Fällen machte demnach das Bundesamt im vergangenen Jahr vom sogenannten Selbsteintrittsrecht Gebrauch, das heißt, es übernahm die Zuständigkeit für die schutzsuchende Person, für deren Asylverfahren eigentlich ein anderes EU-Land zuständig gewesen wäre. Bei der überwiegenden Mehrheit der Fälle im Kirchasyl geht es darum, eine Überstellung in einen anderen EU-Staat zu verhindern. Auch in den Jahren zuvor war die Zahl der Selbsteintritte gering.

Kirchenasyl – Hilfe in Härtefällen

In 313 Fällen wurde 2023 die mit dem Kirchenasyl verbundene Bitte, eine Person nicht abzuschieben, negativ beschieden. Mehr als 1.100 Fälle erledigten sich auf andere Weise, „maßgeblich durch Ablauf der Überstellungsfrist“, wie es in der Antwort heißt. Läuft diese Frist ab, ist automatisch Deutschland für das Asylverfahren zuständig. Sie liegt regulär bei sechs Monaten. Wenn die betreffende Person als „flüchtig“ angesehen wird, kann die Frist auf 18 Monate verlängert wurden. Ein politischer Versuch, dies auch auf Kirchenasyle anzuwenden, wurde gerichtlich gerügt. Das Bundesverwaltungsgericht wies dabei darauf hin, dass der Aufenthaltsort der Personen im Kirchenasyl bekannt ist.

Die Kirchen sehen das Angebot für Asyl in ihren Räumlichkeiten als Hilfe in Härtefällen. Kirchengemeinden stellen dafür Gemeindegebäude oder kircheneigene Wohnungen zur Verfügung. Mitarbeitende und vor allem Ehrenamtliche übernehmen auch die Versorgung der Schutzsuchenden, die das Gelände für die Zeit des Kirchasyls nicht verlassen können. Die Gemeinden erstellen Falldossiers und bitten damit das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge um erneute Prüfung der Fälle.

 

Bünger: Viele geplante Abschiebungen unzumutbar

Bünger sagte, der deutliche Anstieg von Kirchenasyl-Fällen zeige, dass eine zunehmende Zahl geplanter Abschiebungen in andere EU-Länder als unzumutbar angesehen wird. Dass nur so wenige dieser Fälle vom Bundesamt akzeptiert würden, sei „beschämend“. „Die Erfolgsquote beim Kirchenasyl soll offenbar unter allen Umständen niedrig gehalten werden“, kritisierte die Abgeordnete und ergänzte: „Wichtige humanitäre Erwägungen finden beim Bundesamt nur in extremen Ausnahmefällen Gehör, das muss sich ändern.“

Bünger erkundigte sich in ihrer Frage auch nach der Zahl der sogenannten Dublin-Überstellungen. Nach der Dublin-Regelung ist das EU-Land für Aufnahme und Asylverfahren zuständig, über das Schutzsuchende eingereist sind – oder dort zuerst registriert wurden. Nach den Zahlen des Bundesinnenministeriums stellte Deutschland im vergangenen Jahr fast 75.000 Übernahmeersuchen an andere Mitgliedstaaten, während es gut 15.500 Flüchtlinge aus anderen Ländern übernehmen sollte. Tatsächlich erfolgt sind den Angaben zufolge nur 5.053 Überstellungen aus Deutschland, während wiederum 4.275 Flüchtlinge aus anderen Ländern übernommen wurden. (epd/mig)

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Flüchtlingsbeauftragte kritisiert Behörden nach Kirchenasyl-Bruch

Nach dem Bruch eines Kirchenasyls in Schwerin kritisiert die Vorstandsvorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, Dietlind Jochims, die Behörden.

Die Vorstandsvorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, Dietlind Jochims, hat die deutschen Behörden nach dem Bruch eines Kirchenasyls in Schwerin kritisiert. Es sei ihr unverständlich, wie die Behörden mit der betroffenen geflüchteten Familie aus Afghanistan umgegangen seien und bislang respektierte Schutzräume wie das Kirchenasyl missachtet hätten, sagte die Pastorin, die auch Flüchtlingsbeauftragte der evangelischen Nordkirche ist, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die Polizei in Schwerin hatte wegen eines Amtshilfegesuchs der Kieler Ausländerbehörde am Mittwoch ein bestehendes Kirchenasyl in der evangelischen Petrusgemeinde in Schwerin gebrochen, um zwei erwachsene Söhne einer sechsköpfigen afghanischen Familie nach Spanien abzuschieben. Die Abschiebung scheiterte, weil sowohl die Mutter als auch einer der Söhne sich in einem psychischen Ausnahmezustand befanden. Bis auf die Mutter, die sich noch in einer Klinik befindet, hält sich die Familie weiter im Kirchenasyl der Gemeinde auf.

Jochims: „Armutszeugnis für die Behörden“

 

Wie Jochims mitteilte, handelt es sich bei der Mutter um eine bekannte Frauenrechtlerin und Journalistin, die in ihrer Heimat nach der Machtübernahme der Taliban massiv bedroht wurde. Über das Aufnahmeprogramm für Afghanistan des Bundesinnenministeriums und des Auswärtigen Amtes war der Familie zunächst eine Aufnahme in Deutschland zugesichert worden. Die Visumserteilung verzögerte sich laut Jochims massiv. Da das Leben der Familie in Afghanistan zusehends gefährdet gewesen sei und sie dringend medizinische Behandlung benötigt habe, floh sie in den Iran. Von dort aus sei die Familie mit einem spanischen Visum nach Europa gelangt. „Es ist ein Armutszeugnis für die Behörden, dass die Visa-Formalitäten viel zu schleppend angesichts der Lebensgefahr für die Familie bearbeitet worden sind“, kritisierte Jochims.

Es sei augenscheinlich, dass es das Kirchenasyl nicht gebraucht hätte, wenn die deutschen Behörden ihre Arbeit gemacht hätten, betonte Jochims. „Mit dem Kirchenasyl für Frau Y. und ihre Familie sprang die Kirchengemeinde dort ein, wo das Auswärtige Amt versagte“, sagte sie. Anstatt mit einem Großaufgebot von Polizei und Feuerwehr in bundeslandübergreifender Kooperation anzurücken, hätten sich die deutschen Behörden bei der Familie entschuldigen und den Selbsteintritt im Dublin-Verfahren ausüben können, forderte die Pastorin. Die Institution Kirchenasyl komme durch die Vorgabe, die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen, zunehmend unter Druck, beklagte Jochims. Auch Kliniken, Schulen oder Ausbildungsbetriebe gälten leider nicht mehr als akzeptierte Schutzräume, aus denen nicht abgeschoben werde. Im Juli hatte ein Fall aus Viersen für Aufsehen gesorgt, als die Polizei ein kurdisches Ehepaar aus dem Irak aus dem Kirchenasyl holte.                                                                                   © epd  21.12.2023

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Kirchenasyltagung

Vor 40 Jahren öffnete die Kirche in Berlin ihre Türen für eine von Abschiebung bedrohte palästinensische Familie. Es endete erfolgreich und viele weitere Kirchenasyle folgten. Die Kirchen haben kein Recht auf Kirchenasyl, es wird nur (oder meißt) vom Staat geduldet und ist ein Ergebnis des Kampfes um Freizügigkeit und Schutz für Flüchtlinge – ein religiöses Gebot, das nicht verhandelbar ist. Immer wieder wird versucht, die Flüchtlinge und die Leitung der beteiligten Kirchengemeinden oder Klöster zu kriminalisieren. In sehr seltenen Fällen wird das Kirchenasyl auch von der Polizei gebrochen: Im Juli 2023 wurde in Nordrhein-Westfalen eine kurdische Familie aus dem Kirchenasyl geholt und in Abschiebehaft genommen. Nach Protesten wurde die Abschiebung gestoppt.

Um Menschen vor der Abschiebung zu schützen, meldet die Kirche dem BAMF, dass sich die Personen in ihrer Obhut befinden. So kann Zeit gewonnen werden, um andere Möglichkeiten für einen individuellen Aufenthalt zu prüfen. Im August 2023 befinden sich in Deutschland 655 Personen im Kirchenasyl, darunter 136 Kinder.

An der Konferenz nahmen nationale und internationale Delegierte teil, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren, insbesondere in den Grenzgebieten, in denen Flüchtlinge täglich ihr Leben riskieren, um Sicherheit zu finden. Dazu gehörten die Grenzen von Polen/Belarus, Griechenland/Türkei, USA/Mexiko, USA/Kanada, Guatemala/Mexiko.

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Das unverzichtbare Grundrecht auf Asyl darf nicht ausgehöhlt werden

Das Netzwerk „Asyl in der Kirche“ in Niedersachsen und Bremen verstärkt seine                                                   Aktivitäten – gerade jetzt              Hannover, 6. Dezember 2023

 

In diesen Wochen hat das ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche sich neu gegründet. Kirchengemeinden, Flüchtlings-Beratungsstellen und der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. sehen sich gerade jetzt gefordert, entschieden für den Schutz von geflüchteten Menschen einzutreten. „Abschiebungen im großen Stil sind keine Lösung, sondern eine Bedrohung für schutzsuchende Familien und Einzelpersonen, die oftmals unter Lebensgefahr aus großer Not aufgebrochen sind und in Deutschland ihre Zukunft suchen“, so Pastor Sven Quittkat, neu gewählter Sprecher des Netzwerks. „Ein Kirchenasyl ist bestimmt keine Lösung, aber in immer mehr Fällen ein letzter Strohhalm, um nicht in eine ungewisse und gefährliche Situation abgeschoben zu werden.“

 

Das Ökumenische Netzwerk Kirchenasyl in Niedersachsen und Bremen positioniert sich mit folgendem Statement zur aktuellen Flüchtlingspolitik:

 

Das unverzichtbare Grundrecht auf Asyl darf nicht ausgehöhlt werden

 

Mit Sorge verfolgen wir die aktuellen Entwicklungen in der bundesdeutschen Migrationspolitik. Die Angst vor einer Überlastung der Sozialsysteme führt derzeit zu einer deutlichen Verschärfung in der Praxis des Asylrechts sowie zu einer Infragestellung des gesellschaftlichen Konsenses, dass Verfolgten auch in Deutschland ein Schutzanspruch zusteht. Wenn wir das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl zufluchtsuchender Menschen außer Kraft setzen, geben wir unser humanitäres Handeln für schutzsuchende Notleidende auf. Deshalb fordern wir die politisch Verantwortlichen auf: Das unverzichtbare Grundrecht auf Asyl darf nicht ausgehöhlt werden.

Wir begrüßen aus der Debatte der letzten Monate ausdrücklich, dass geflüchtete Menschen schneller das Recht auf Arbeit erhalten sollen, um selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen zu können.
Die Sozialsysteme würden im Übrigen weiter entlastet werden, würde man zufluchtsuchenden Menschen, die bereits Familienangehörige in Deutschland haben, gestatten, bei ihnen zu wohnen und von ihnen versorgt zu werden. Viele Familien, die bereits in Deutschland Fuß gefasst haben, wären dazu bereit.

In Bezug auf die Verschärfungen des Migrationsrechtes halten wir fest:

  1.  Weiterhin müssen zufluchtsuchende Menschen eine rechtssichere und faire Prüfung auf einen Schutz- und  Aufenthaltsstatus in Deutschland erhalten.
  2.  Eine Verlagerung von Prüfungen auf Asyl an die Außengrenzen gefährdet faire, rechtsstaatliche Verfahren. Zufluchtsuchenden droht nach einem Schnellverfahren ohne Zugang zu Beratungsstellen oder Anwält:innen und ohne inhaltliche Prüfung von Fluchtgründen die direkte Abschiebung.
  3.  Deutschland sollte der Tatsache Rechnung tragen, dass bestimmte EU-Staaten keine fairen und rechtstaatlichen Asylverfahren durchführen. Geflüchtete dürfen nicht schikaniert, inhaftiert, geschlagen oder bedroht und auch nicht Opfer von Pushbacks werden. Dies verrät die Grundlagen jedes Rechtsstaats und vergrößert die Not der Menschen und die Gefahr, krank und noch mehr traumatisiert oder in den Händen von Schleusern zu noch gefährlicheren Transfers gezwungen zu werden. Ein Zurückschicken von Geflüchteten in Staaten, die offenkundig elementare Menschenrechte missachten, ist ein Verrat an den elementaren Grundlagen unseres Gemeinwesens und nur graduell unterschieden von einem Pushback.
  4. In Härtefallen muss die vielfältig bewährte Praxis im Umgang mit Kirchenasyl bestehen bleiben, um eine erneute Prüfung durchführen zu können.

 

 

Im ökumenischen Netzwerk Asyl in der Kirche Niedersachsen-Bremen sind vertreten: Kirchenasyl gewährende Kirchengemeinden in Niedersachen-Bremen, der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. sowie viele Migrationsberatungsstellen von Caritas und Diakonie 

Ansprechpartner für das Netzwerk: - Sven Quittkat - Pastor

Dachstiftung Diakonie

Kirchröder Str. 44e, 30625 Hannover, Telefon 0511- 5353357, Mobil    0171-1288394

sven.quittkat@dachstiftung-diakonie.de

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Herzlich Willkommen

Wir sind der organisatorische Zusammenschluss der Kirchenasylbewegung in Deutschland. Sie besteht aus den Netzwerken aller Kirchengemeinden, die bereit sind, Flüchtlinge im »Kirchenasyl« vor Abschiebung zu schützen, wenn begründete Zweifel an einer gefahrlosen Rückkehr bestehen. Als BAG treten wir für die Flüchtlinge und deren UnterstützerInnen ein durch Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit, Publikationen, Tagungen und Beratung von Gemeinden.

Hier erfahren Sie mehr:  Klick mich ....

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EINMALIGER VORGANG

Kritik an gewaltsamen Bruch von Kirchenasyl in NRW

Flüchtlingshelfer kritisieren die Räumung eines Kirchenasyls in Nordrhein-Westfalen. Ein Ehepaar aus dem Irak hatte in einer evangelischen Kirche Schutz gesucht und sitzt nun in Abschiebehaft. Experten sprechen von einem einmaligen Vorgang.

Sonntag, 16.07.2023, 20:00 Uhr

 

Nach der Räumung eines Kirchenasyls im nordrhein-westfälischen Nettetal gibt es Kritik am Verhalten der Ausländerbehörde. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (BAG) sprach von einem einmaligen Vorgang. „Wir sind überrascht. Es gibt eine Vereinbarung zwischen Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die Räumungen eigentlich ausschließt“, sagte Dieter Müller, stellvertretender Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft, dem „Evangelischen Pressedienst“.

Zuletzt sei ein Kirchenasyl im Jahr 2014 in Augsburg beendet worden. Dieser Fall habe schließlich zu der Vereinbarung geführt, erläuterte er. Flüchtlinge im Kirchenasyl erhalten demnach eine Duldung, Kirchengemeinden müssen für jeden Fall ein Dossier beim Bundesamt einreichen. Wird die erneute Prüfung des Falls negativ beschieden, verlieren die Flüchtlinge ihren Aufenthaltsstatus. Doch auch dann gebe es keine Räumungen von Kirchenasylen, sagte Müller. Die Bundesarbeitsgemeinschaft forderte eine gründliche Aufarbeitung dieses behördlichen Vorgehens.

Fast alle Kirchenasyle enden mit Bleibeperspektive

Gewaltsame Räumungen von Kirchenasylen sind nach Angaben des Netzwerks und des Abschiebungsreportings NRW ungewöhnlich, da die Behörden den Schutzraum für Flüchtling in Kirchengemeinden in der Regel respektieren. In Nordrhein-Westfalen gibt es demnach aktuell rund 140 laufende Kirchenasyle. Im vergangenen Jahr hätten rund 98 Prozent der Fälle mit einer Bleibeperspektive für die Betroffenen beendet werden können.

Das aus dem Irak stammende Ehepaar war am frühen Montagmorgen während einer unangekündigten Hausdurchsuchung im Gemeindehaus der evangelischen Kirchengemeinde Lobberich-Hinsbeck in Nettetal festgenommen worden. Die Ausländerbehörde in Viersen war aktiv geworden, weil das Paar dort zuletzt gemeldet war. Der anschließende Versuch, das Ehepaar vom Flughafen Düsseldorf nach Polen zu überstellen, sei jedoch von der Bundespolizei abgebrochen worden, weil die Frau einen Zusammenbruch erlitten habe.

Stadt hält an Abschiebung fest

Das Paar befindet sich nach Angaben der Stadt Viersen nun in der Abschiebehaftanstalt Darmstadt. Es war 2021 aus dem Irak geflohen und lebte seit Ende Mai 2023 im Kirchenasyl. Die Stadt Viersen erklärte am Freitag, die Überstellung nach Polen werde vorerst weiter betrieben. Der Anwalt des Ehepaares hat nach Angaben des Netzwerks Asyl in der Kirche NRW einen Eilantrag eingereicht, um die Überstellung zu verhindern.

Wie die rheinische Landeskirche und das Netzwerk Asyl in der Kirche NRW mitteilten, hatte das BAMF ein Dossier abgelehnt, das normalerweise in Kirchenasylfällen für die Einzelfallprüfung vorgelegt werden muss. Grund dafür sei, dass ein früheres Asylverfahren noch nicht vollständig abgeschlossen sei. Das Paar fällt demnach unter die sogenannten Dublin-Verfahren, die vorsehen, dass Flüchtlinge, die über ein sicheres Drittland einreisen, dort auch ihren Asylantrag stellen müssen. Das Paar war über Belarus nach Polen in die EU eingereist und war bereits einmal nach Polen zurückgeführt worden.

Räumung widerspricht Spielregeln

Dass kein Dossier beim Bundesamt eingereicht worden sei, sei jedoch kein Grund für die Räumung des Kirchenasyls, sagte Rafael Nikodemus, Beauftragter für Flucht und Migration der Landeskirche. Die Kirchen hätten mit dem Land NRW zusätzlich zu der Vereinbarung mit dem Bamf eine entsprechende Übereinkunft. Die Räumung entspreche nicht den üblichen „Spielregeln“, sagte Nikodemus, auch weil sie ohne vorherige Kontaktaufnahme mit der Kirchengemeinde erfolgt sei.

 

Bei einem Kirchenasyl gewährt eine Kirchengemeinde von Abschiebung bedrohten Geflüchteten einen zeitlich befristeten Schutz. Ziel ist es, eine erneute sorgfältige Prüfung ihrer Situation zu erreichen. Der Staat toleriert das Kirchenasyl, allerdings kann er von seinem Zugriffsrecht Gebrauch machen, um Betroffene abzuschieben. (epd/mig)

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